Rahel Rüegsegger boxt Klischees aus dem Weg

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Thaiboxen ist ein Trend – auch unter Frauen. Rahel Rüegsegger ist schon länger angefressen vom Kampfsport.

Text: Lydia Lippuner, Foto: Claudio Thoma

Die junge Frau reibt sich den Oberschenkel. «Dieser blaue Fleck ist von dir», sagt sie zu ihrer Kollegin und lacht. Dass es beim Thaiboxen auch einmal hart zu und her geht, ist den beiden längst klar. Doch bevor es richtig zur Sache geht, wärmen sie sich locker mit den Springseilen ein. Der Gummiboden gibt bei jedem Hüpfen leicht nach.

Seit vier Jahren kommt Rahel Rüegsegger ins Nippon Trainingscenter im Dietiker Limmatfeld. «Pro Woche bin ich etwa dreimal im Training», sagt die 29-jährige Oberengstringerin. Nach dem Aufwärmen geht es jeweils um Schlagkraft, Technik und Kraft. «Es melden sich immer mehr Frauen an», sagt der Trainer von Rüegsegger, Harris Reiz. Die Frauen hätten jedoch gerade zu Beginn selten gegen Männer kämpfen wollen. Deshalb bietet er nun viermal pro Woche «Ladies Thai Boxen» an. Die Nachfrage nach diesen Kursen steigt stetig. «10 bis 15 Frauen kommen jeweils in die Trainings», sagt er.

Dieses verläuft ähnlich wie das der Männer. Jedenfalls der Teil der Technik, der Kondition und des Krafttrainings. Der Unterschied ist jedoch, dass der Freikampfteil beinahe auf null reduziert ist. Partnerkampf gehört im Training der Männer dazu. Absicht des Sparrings ist es, direkt zu kämpfen, jedoch mit geänderten Regeln und Vereinbarungen, die Verletzungen weitgehend verhindern sollen.

Von wegen Frauen können nicht richtig zuschlagen: Rahel Rüegsegger Fäuste und Schienbeine knallen im Training oft an die Boxsäcke.

Dennoch knallen Rüegseggers Fäuste dann und wann gegen die Pratzen eines Partners. «Wenn du als Frau einen Mann triffst, dann merkst du, wie es in ihm zu brodeln beginnt», sagt sie. Einen solchen Schlag nähmen die Frauen ruhiger hin. Andererseits trauten sich die Männer auch weniger, zuzuschlagen, wenn sie vor einer Frau stünden. Obwohl es hauptsächlich darauf ankomme, dass die Grösse, das Gewicht und das Level der beiden Kämpfer ähnlich sei.

Schwarze Beine in Thailand

Vor dem Zuschlagen im Training hat Rüegsegger keine Angst. Sie hat nämlich schon viel intensivere Erfahrungen gemacht. Etwa im Herkunftsland der Kampfsportart: «Ich ging bereits zweimal in ein Trainingslager nach Thailand, damals hatte ich jeweils schwarze Beine», sagt Rahel Rüegsegger. Sie habe gesehen, wie die Kämpfer dort mit der nackten Faust auf Eisenstangen eingeschlagen hätten. Rüegsegger schaute sich auch Kampfshows an. Die Musik verursacht eine Mischung aus Ohrwurm und Trance. Faszinierend und abstossend zugleich: «Das Ambiente an den Wettkämpfen ist super, doch die Kindershows sind irgendwie beängstigend», sagt sie. Da wolle man die kleinen Wesen am liebsten beschützen. «Doch diese trainieren auch, seit sie sechsjährig sind», sagt Rüegsegger. Sind die professionellen Kämpfer dann knapp über zwanzig, fungieren sie nur noch als Trainer für den Nachwuchs.

Im Vergleich dazu begann Rüegsegger erst als Veteranin. Sie war bei ihrem ersten Training 24 Jahre alt. «Als ich gerade durch Thailand reiste, empfahl mir ein Freund, dass ich in einen Thaibox-Kurs gehen sollte», sagt sie. Dieser Kurs dauerte vier Wochen. Rüegsegger hatte sich vorgenommen, jeden Tag zu trainieren. Das hat sie durchgezogen. Ihre Faszination für den Kampfsport blieb auch, als sie zurück in die Schweiz reiste. «Wenn ich trainiere, fühle ich mich besser, einfach rundum fit», sagt Rüegsegger. So pilgert die Projektleiterin auch noch heute dreimal pro Woche in den Fitnesstempel und drischt mit Ellbogen, Knie, Faust und Fuss auf die schwarzen Boxsäcke ein. Längst hat sich ihr Körper an das Training gewöhnt. «Ich merke es geradezu, wenn ich eine längere Pause mache», sagt sie. Allzu lange darf diese sowieso nicht werden. Sei sie lange nicht mehr im Thaiboxen gewesen, werde sie «grantig».

Rahel Rüegsegger trainiert seit vier Jahren im Trainingscenter in Dietikon.

Trendiger Sport auch für Frauen

Nicht alle freuen sich jedoch gleich mit ihr. «Mein Freund findet meine Thaibox-Trainings nicht so gut, er denkt, es sei nicht weiblich», sagt Rüegsegger. Obwohl sie Kampfsport betreibe, sei sie genau so weiblich wie andere Frauen. Das Thaiboxen gebe ihr einfach den nötigen Ausgleich zum Bürojob. Es gibt aber Leute, die zwischen Skepsis und Neugierde schwanken, wenn sie hören, dass eine Frau Kampfsport macht. Wenn Freunde sie mit ihrer Sportart aufziehen, sagt sie nur: «Komm mit mir ins Training, dann sehen wir, wer zuerst heult.»
Auf offener Strasse zugeschlagen habe sie aber noch nie. Die Kämpferin wird ein wenig nachdenklich: «Ich habe mir schon oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich aus dem Hinterhalt angegriffen würde, doch ich weiss es nicht.» Sie mache den Sport in erster Linie, um fit zu bleiben, nicht um sich zu verteidigen. Damit geht es ihr so wie vielen Frauen, die heute in den Ring steigen.

Das bestätigt auch Leonardo Irnici, der Thaiboxtrainer des Schweizermeisters aus Zürich: «In den letzten zwei Jahren kamen extrem viel mehr Frauen ins Thaiboxen.» Bei einem Grossteil sei dabei die Motivation in erster Linie die Fitness und erst als Zweites die Selbstverteidigung. «Auch an die Wettkämpfe wollen nur rund 10 Prozent», so Irnici. Um an den Wettkämpfen teilzunehmen, sei aber auch ein härteres Training erforderlich. Der Schweizer Meister sei jeweils sechsmal pro Woche ins Training gekommen. Um sich jedoch einfach fitter zu fühlen, reichen bereits zwei bis dreimal pro Woche. «Besonders anfangs, in den ersten zwei Monaten, machen die Frauen einen grossen Fortschritt», sagt er.

An einen Wettkampf traute Rüegsegger sich bisher noch nie. Ausgeschlossen ist es für sie aber keineswegs, dass sie sich einmal mit anderen misst: Sie wurde auch schon vom Trainingscenter angefragt. Nächstes Jahr vielleicht, meinte sie dazu nur. «Jetzt bin ich noch nicht bereit, ich muss noch ein wenig trainieren. Wenn ich gehe, will ich auch gewinnen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 1. September in der Limmattalerausgabe der Schweiz am Wochenende.

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