Mayara Erismann (16) organisiert mit einigen Kolleginnen den Frauentag an der Kantonsschule Limmattal. Sie erzählt, wo sie Sexismus erlebt und was sie sich als Frau von der Zukunft wünscht.
Schülerinnen der Kantonsschule Limmattal lancieren am 14. Juni, dem Tag des Frauenstreiks, einen Frauentag in ihrer Schule. Begleitet wird die Gruppe um die Weiningerin Mayara Erismann von der Deutschlehrerin Sabine Schläpfer. Sie engagierte sich bereits 1991 im Streikkomitee an der Universität in Zürich.
Die Schülerinnen und Schüler machen laut Schläpfer während ihrer Zeit an der Kanti einen Wandel durch. Bei den meisten verschärfe sich die Wahrnehmung für Geschlecht und Identität, sagt sie. «Ab der vierten Stufe beginnt eine gewisse Sensibilisierung.» Trotzdem nähmen die Mädchen noch häufig Partei für die «armen Buben» ein. Da diese beispielsweise im Sport für die gleiche Note eine höhere Leistung erbringen müssten. Später nehme dann die Wahrnehmung von Sexismus zu. «Das hat wohl auch mit dem vermehrten Ausgang und den verbalen sexuellen Belästigungen zu tun, denen viele junge Frauen ausgesetzt sind», so Schläpfer.
Das Ziel der Lehrerin ist es, am Frauenstreiktag für die Gleichberechtigung zu sensibilisieren. «Ich bin bemüht, in allen Klassen, in denen ich selber unterrichte, das Thema aufzugreifen und auch die Jungen mit ins Boot zu holen», sagt Schläpfer. Doch dies solle nicht nur am Frauenstreiktag das Thema sein, sondern auch später im Unterricht weiterverfolgt werden. Denn Schläpfer möchte zeigen, dass «Gleichberechtigung allen Geschlechtern nützt».
Für die Vorbereitung des Frauentags traf sie sich bereits einige Male mit den Schülerinnen, die sich für den Frauentag engagieren. Bei einem Treffen in der Kantonsschule erzählt die 16-jährigen Mayara Erismann, was die Schülerinnen alles vorhaben.
Wie verbringst Du den Frauenstreik am 14. Juni?
Mayara Erismann: Streiken dürfen wir nicht. Das ist an der Kantonsschule Limmattal weder Schülerinnen noch Lehrerinnen erlaubt. Das heisst, es gibt stattdessen einen Frauentag, an dem wir vom Komitee einige Aktionen geplant haben. Wir führen Diskussionen durch und informieren mit Plakatwänden.
Was wollt ihr mit diesen Aktionen erreichen?
Sichtbarkeit. Alle Schülerinnen und Schüler, die an diesem Tag in die Schule kommen, sollen merken, dass Frauenstreik ist. Wir erklären, was dieser Tag bedeutet und weshalb es immer noch wichtig ist, für Gleichberechtigung zu kämpfen. Das ist für viele gar nicht klar.
Wie begründet Ihr den Frauenstreik in eurer Schule?
Natürlich geht es uns, wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, gut, wenn es um Gleichberechtigung und Emanzipation geht. Auch die Lohnungerechtigkeit betrifft mich als Schülerin noch nicht. Doch ist beispielsweise Sexismus ein aktuelles Thema in unserem Alter. Darüber wollen wir ebenfalls Gespräche führen an diesem Tag.

In welchen Situationen hast Du bereits Sexismus erlebt?
Am meisten in Form von Witzen. Entweder man findet diese lustig, was sie ja nicht sind, oder man ist die Spassbremse oder Emanze. Richtig stark erlebt man Sexismus dann, wenn man in den Ausgang geht. Das ist sehr unangenehm.
Was war der Startschuss für euer Komitee?
Meine Kolleginnen hatten die Idee, Frauenstreik-Bändeli zu verteilen. Danach erhielt unsere Lehrerin Sabine Schläpfer den Auftrag, den Frauenstreik an die Hand zu nehmen. So organisierten wir mit ihr einiges.
Hast Du Dich auch zuvor schon politisch engagiert?
Ich war bereits für den Klimastreik aktiv.
Wie war die Reaktion der anderen Schüler?
Anfangs nahmen sie es nicht so ernst. Sie nahmen die Aktion einfach hin als einen weiteren Event von uns. Doch diese Woche kam Yara Küng, eine ehemalige Schülerin und Mitglied des Frauenstreik-Komitees der Universität Zürich, an unsere Schule. Sie redete in verschiedenen Klassen über den Streik. Das führte zu grossen Diskussionen in der Klasse. Einige Jungs regten sich sehr auf. Dafür wollten sich zum Schluss fast alle Mädchen engagieren. Auch solche, die vorher noch nicht so aktiv waren.
Welche Feedbacks erhaltet Ihr von den Lehrerinnen und Lehrern?
Es gibt einige Lehrerinnen, die solidarisch sind. Da wir nicht streiken dürfen, gibt es Solidaritätsstunden um elf und vier Uhr. Da lassen sich manche Lehrerinnen auch von Lehrern ersetzen, andere halten Unterricht zum Thema Frauenstreik und wieder andere unterrichten wie bis anhin.
Stand es für Dich nie zur Debatte, trotz des Verbots streiken zu gehen?
Ich würde es schon riskieren. Auch wenn ich dafür eine unentschuldigte Absenz erhielte. Doch mit den Projekten, die wir an der Schule haben, bringt es mehr, wenn ich da bin. Ich kann mehr erreichen, wenn ich eine Diskussion in der Klasse zu diesem Thema leite als wenn ich weg bin. Wir haben den Weg gewählt, mit der Schule etwas zu machen, nicht gegen die Schule.
Trotzdem habt ihr einige Forderungen gestellt.
Wir möchten, dass Frauen beispielsweise in Geschichte und Naturwissenschaften mehr thematisiert werden. Zudem reden wir in Bio noch nicht über Konsens oder die Nebenwirkungen der Pille, das ist im Lehrplan nicht vorgesehen. Auch Gender und Sex sollten thematisiert werden. Es gibt ein paar Schülerinnen und Schüler an der Schule, die sich nicht mit einem Geschlecht identifizieren wollen. Zudem wird die Sprache nicht angepasst. Es geht immer um die «Maturanden» statt um Maturandinnen und Maturanden. Zudem sollen mehr Frauen in die Schulleitung kommen.
Seit dem letzten Frauenstreik wurden vereinzelt Fortschritte in der Gleichberechtigung erzielt. Was hat sich dabei für Dich zum Positiven verändert?
Ich habe starke Frauen, die ich im Internet oder in Büchern kennen lerne. Diese können mein Vorbild sein. Die Generation vor uns hatte das wohl weniger.
Welche Frau ist dein Vorbild?
Hazel Brugger. Sie spornt mich an, zurückzugeben und nicht leise zu sein. Sie geht beispielsweise zu Roger Schawinski und sagt ihm die Meinung.
Du bezeichnest Dich als Feministin. Was heisst es konkret für Dich, Feministin zu sein?
Für mich heisst es, dass man Gleichberechtigung von allen Geschlechtern lebt. Das würden wohl die meisten in unserer Schule unterstützen, doch wenige würden sich so nennen. Da dieser Begriff immer noch negativ konnotiert ist. Schnell kommen dabei Begriffe wie Feminazi und Emanze ins Spiel. Als Feministin gilt man nicht als das Traummädchen in unserem Alter.
Ist mit dem Streik euer Engagement abgeschlossen?
Darüber haben wir uns noch nicht viele konkrete Gedanken gemacht. Doch es gibt einiges, was danach umgesetzt werden sollte. Beispielsweise das Jobsharing in Führungspositionen.
Was wünschst Du Dir?
Ich wünschte mir, dass zukünftig mehr und offen über dieses Thema geredet wird. Von Männern wird es oft als Angriff gesehen. Doch es ist kein Angriff, wir wollen einfach Lösungen suchen. Zudem wünschte ich mir, dass wirklich etwas umgesetzt wird.
Unter dem Motto «Gleichberechtigung. Punkt. Schluss!» haben mehrere Gewerkschaften und Frauenorganisationen zum Streik am 14. Juni aufgerufen. «Lohn. Zeit. Respekt.» lautet die Überschrift zu den Forderungen, die der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zum Streik formulierte. Dabei geht es den Beteiligten im Konkreten um eine finanzielle Aufwertung, höhere gesellschaftliche Anerkennung von Frauenarbeit, mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit sowie die Bekämpfung von Sexismus und sexueller Belästigung. Der Streik ist eine Neuauflage des nationalen Frauenstreiks 1991. Damals hatten sich Hunderttausende Frauen in der ganzen Schweiz am Protest beteiligt. Seit dann haben sich die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit kaum verändert. Deshalb gibt es am 14. Juni um 15.24 Uhr einen nationalen Streikmoment. In Zürich schliessen ab 14 Uhr viele Kitas und Horte, danach werden verschiedene Streik-Aktionen auf der Bäckeranlage veranstaltet. Ab 17 Uhr startet die Demo ab dem Zürcher Hauptbahnhof. Die Gewerkschaften planten einige Programmpunkte. «Doch der Tag ist offen für individuelle Aktionen von verschiedenen Frauengruppen», sagt Christine Flitner, Zentralsekretärin des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Mit dem Streik sei das Thema aber nicht erledigt. «Für uns ist der Frauenstreik nicht das Ende oder der Gipfel der Aktion. Im Gegenteil, wir erwarten, dass die Forderungen aufgenommen und umgesetzt werden», sagt Flitner. (lyl)
Dieser Artikel erschien erstmals in der Limmattaler Zeitung. (Fotos von Sandra Ardizzone)