Wenn Schweizer diskriminiert werden

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Wenn sich Ausländer in der Schweiz integrieren, werden sie auch gut akzeptiert, dies könnte zumindest so angenommen werden. Mitte Dezember veröffentlichte die eidgenössische Kommission gegen Rassismus nun ein Bulletin, in dem sie aber darlegt, dass selbst ein Schweizer Pass, sozusagen die Integration auf dem Papier, nicht vor Rassismus schützt. «Man kann von der Integration nicht alles erwarten. Stereotype halten sich hartnäckig, ohne Rücksicht auf Nationalitäten oder den Stand der Integration», sagt Martine Brunschwig Graf, Leiterin der Kommission.

Klischees und Vorurteile führen dazu, dass insbesondere Leute, denen man die Andersartigkeit an der Hautfarbe oder Kleidung ansieht, beschimpft werden. «Schwarze Menschen, Sinti, Roma, Jenische, aber auch Juden sowie Muslime erfahren rassistische Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Lebensweise», sagt Brunschwig Graf. Sie ist überzeugt: Es muss eine politische Strategie her. Diese kann die Bevölkerung sensibilisieren, damit sie versteht, was Diskriminierung bedeutet. Lehrer sollten beispielsweise bereits in ihrer Ausbildung lernen, wie sie einen wertschätzenden Umgang mit der Heterogenität der Menschen pflegen.

Gespräche mit Jugendlichen des FC Schlieren, in der Zürcher Gemeinde mit der höchsten Ausländerdichte (45,9 Prozent), zeigen, wie junge Sportler Rassismus erlebten und wie sie damit umgingen. In den Videos erklären sie, ob sie sich als Schweizer oder Ausländer fühlen.

 

 

Ich denke schon, man sollte ein wenig mehr darüber reden, denn ich finde es eine riesen Schweinerei.

Kevin da Silva Saxer ist halb Schweizer halb Brasilianer. In seiner zwölfköpfigen Schulklasse in Schlieren gehörte er zur Minderheit. Er war einer von drei Schweizern. Manchmal wurde er als «Scheiss Schweizer», manchmal als «Scheiss Ausländer» betitelt. Doch das nimmt der 17-Jährige mittlerweile gelassen. Er lehnt sich in seinem Stuhl im Clubhaus des FC Schliern zurück und betont: «Ich habe noch nie in einem anderen Land gelebt. Die Schweiz ist meine Heimat.» Was die anderen denken, ist ihm nicht mehr so wichtig. Doch seine Toleranz hat eine Grenze: Ernstgemeinte, abschätzige Kommentare, findet er ein No-Go.
Doch das erlebte er auch schon. Beispielsweise dann, wenn er mit seinen dunkelhäutigen Freunden unterwegs war. Da wurden sie schon hin und wieder rassistisch beleidigt. «Eine Schweinerei», sagt da Silva Saxer. Aus diesem Grund, ist er auch überzeugt, dass in der Schweiz mehr über Rassismus geredet werden sollte.

In der Schule in Schlieren, hätten gemäss seiner Erfahrung alle dieselben Voraussetzungen gehabt. «Die Lehrer wussten, wie sie mit uns umgehen mussten, da wirklich fast alle Ausländer waren.» Eine Lehrstelle fand er ohne grössere Probleme. Anfangs wollte er Polymechaniker werden, doch das gefiel ihm nicht. Deshalb fing er die Lehre als Automonteur an. Bereits heute weiss er, dass er nach den drei Jahren Lehre eine Weiterbildung machen will. Oder er wird der zweite Neymar: «Noch besser zu werden als er, das wäre super», sagt da Silva Saxer und lacht.
Müsste er sich entscheiden, für welches Land er spielen wollte, würde er sich für die Schweiz entscheiden. Das ist jedoch kein emotionaler Entscheid. Da Silva Saxer sagt: «Man muss dorthin gehen, wo man mehr Chancen hat. Das wäre bei mir die Schweiz.»

 

Zwischen Scherz und Straftat

Brunschwig Graf kennt den schmalen Grat, der zwischen einem schlechten Scherz und einer strafbaren rassistischen Aussage verläuft. «Da es in der Schweiz kein spezifisches Gesetz gegen Diskriminierung gibt, ist es schwierig ein Verfahren zu gewinnen», sagt Brunschwig Graf. Überdies sind die Beweise für einen rassistischen Vorfall oft schwer zu erbringen. Deshalb rät sie allen Betroffenen, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. In vielen Fällen haben die Opfer aber Hemmungen sich zu beklagen. So sei es auch zu erklären, dass viele Täter ungeschoren davonkommen. Das heisst, vielfach sind die Betroffenen auf die Hilfe von Zeugen angewiesen. «Schweigen ist auf alle Fälle die schlechteste Reaktion», sagt Brunschwig Graf. Rassistische Äusserungen wegzulachen ist genauso wenig hilfreich, wie sie mit dem Ruf nach Meinungsfreiheit zu zementieren.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus unterscheidet zwischen rassistischen Handlungen und rassistischen Ansichten. Da das Amt keine nationalen Zahlen erhebt, ist es schwierig internationale Vergleiche zu ziehen. Doch Brunschwig Graf geht davon aus, dass die Zahl in den letzten Jahren relativ konstant blieb. Dazu beigetragen hat, dass sich der Schweizer Staat klar gegen Rassismus ausspricht. «Leider ist dies beispielsweise in den USA, in Brasilien oder Ungarn nicht so.» Die politischen Parolen spielen für Brunschwig Graf eine besonders wichtige Rolle, wenn es um die Rassismusbekämpfung geht.

Nico Perez ist sich kein anderes Leben, als das in der Schweiz gewohnt. Im Video erzählt er, wie er Rassismus erlebt hat:

 

Grundsätzlich würde ich sagen, ich bin eher Schweizer als Italiener.

Dichtes schwarzes Haar und dunkle Augen, die neugierig in die Welt schauen. Nico Perez gehört zu den Menschen, die – egal wo sie sind – Freunde um sich scharen. «Kaum sage ich meinen Namen, fangen die Leute an zu rätseln, ob ich aus Spanien oder Lateinamerika komme», sagt er in breitem Züritüütsch. Doch meist sei das nicht böse gemeint, fügt der 18-Jährige im Interview im Clubhaus des FC Schlieren rasch hinzu. Schon gar nicht, wenn er sagt, dass er aus Italien komme. Das gebe ihm eher einen charmanten Pluspunkt. Rassistische Äusserungen habe er auch schon erlebt. In der Berufsschule sei er der einzige Italiener. «Da fallen schon mal Worte wie Tschingg oder so», sagt er. Doch das nehme er seinen Kollegen nicht krumm.
Ist er im Ausland, vermisst Perez besonders das schweizerische Essen. «Ohne Schoggi oder Käse geht es nicht», sagt Perez. Seine Freunde sind hauptsächlich Schweizer. «Doch ich komme mit allen gut aus, wenn sie keine Probleme machen.» Das gelte für Schweizer und Ausländer. Für ihn sei nicht die Nationalität, sondern die Taten der Menschen aussagekräftig.

Perez offene Art hat ihm auch bei der Lehrstellensuche geholfen. Spätestens beim persönlichen Kontakt hat er seinen zukünftigen Chef vollständig überzeugen können. Nun absolviert er eine Ausbildung als medizinischer Laborant im Kantonslabor in Schlieren. Daneben verbringt er so viele Stunden wie möglich auf dem Fussballplatz im Zelgli. Sein Traum wäre es, einmal beim FC Juventus Turin mitzuspielen. Dort kickt auch sein Lieblingsfussballer Giorgio Chiellini. Mit ihm teilt Perez nicht nur die Nummer 3 auf dem Trikot, sondern auch die Position als Verteidiger. Was von seiner freien Zeit noch übrig bleibt, nutzt Perez zum Fischen an Seen in der Schweiz oder in Italien.

Verbindet oder trennt Sport die Nationalitäten?

In den letzten Jahren verlagerte sich die Hetze zunehmend ins Internet. Dort fühlen sich die Täter geschützt und schreiben Dinge, die sie den Betroffenen nie ins Gesicht sagen würden. Zudem konnte die Kommission einen Zusammenhang zwischen rassistischen Geschehnissen und internationalen Ereignissen feststellen. «Zum Beispiel provozierte der islamische Terrorismus einerseits mehr Feindseligkeit gegenüber Muslimen und andererseits führten die Spannungen im Nahen Osten zu mehr antisemitischen Vorfällen in der Schweiz», sagt Brunschwig Graf.

Wenn auch die Politik als Bindeglied manchmal versagt, heisst es oft, dass Sport die Nationen verbindet. Dem stimmt Brunschwig Graf nur bedingt zu. Wohl können gemeinsame Erfahrungen die Sportler verbinden, doch andererseits sei der Sportplatz auch ein Ort, an dem es zu rassistischen Ausschreitungen kommen könnte. Damit die Schweizer Sportplätze Orte sind, welche die Leute wirklich verbinden, braucht es eine Gesellschaft, die Menschen nicht aufgrund ihrem Äusseren oder ihrer religiösen Haltung verurteilt. «Da sind wiederum Leiter und Trainer gefragt, die auf rassistische Handlungen reagieren und präventive Massnahmen ergreifen», sagt Brunschwig Graf. Im letzten Jahr beleidigten die Zuschauer die Spieler des FC Schlierens, im Video erzählt der Trainer, wie er auf die Beleidigungen reagierte:

Ich glaube, ich bin der grösste Schweizer.

Seit 22 Jahren dreht sich mehr oder weniger alles im Leben von Besnik Ramadani um Fussball. Bis ins Teenageralter kickte er selbst, «doch dann machte ich meinen Fuss kaputt, seither bin ich nur noch Joker», sagt der 35-jährige Trainer. Mit dem havarierten Fuss begann seine Karriere neben dem Platz. Ramadani steht bereits seit zwölf Jahren unter Vertrag beim FC Zürich. Seit einem Jahr trainiert er nun die erste Mannschaft des FC Schlieren mit einem 20-Prozent-Pensum.
Der FCZ und der FC Schlieren unterscheiden sich nicht nur in Farbe und Grösse, sondern vor allem in der Ausrichtung: «Beim FCZ geht es um Ausbildung, beim FC Schlieren um Resultate», sagt Ramadani. Während dem Training steht Ramadani ruhig am Rand des Spielfelds, die Hände in die Jackentasche vergraben, die dunklen Augen auf die Spieler gerichtet. Doch vor einem Match des FC Schlieren ist er jeweils kaum ansprechbar vor lauter Anspannung. «Verlieren, das kann er sehr schlecht», sagt Roberto Procopio, Co-Trainer der Herrenmannschaft. Während Ramadanis Zeit stieg der Club auf. Momentan spielt er in der zweiten Liga auf Platz 9 von 14. Doch Ramadani ist sich bewusst, dass Ränge eine fragile Sache sind. Die Stärke seines Teams sieht er darin, dass es eine sehr launische Gruppe sei. «Sie können mich in positiver und negativer Richtung überraschen.»

Rassismus und Vorurteile sind dem gebürtigen Mazedonier längst bekannt. Auch wenn er unter seinen Freunden als «der grösste Schweizer» bekannt sei, erlebe er immer wieder rassistische Äusserungen auf und neben dem Platz. Ramadani ist sich bewusst, dass der FC Schlieren in den Köpfen der meisten Zuschauer bereits mit einem Nachteil startet. Gerade deshalb legt er viel Wert auf Ordnung. Sein Blick fällt während des Gesprächs auf schwarze Handschuhe. Ein Spieler hat diese nach dem Training liegengelassen. Sofort erklärt Ramadani, dass der Betroffene im nächsten Training Strafpunkte für seine Nachlässigkeit erhalten werde.

Viele der Zuschauer erwarten, schon bevor der Match beginnt, dass es zu Ausschreitungen kommt. Diesen «Gefallen» will Ramadani niemandem tun. Deshalb zählen für ihn nur Disziplin und Respekt. «Da kann ein Spieler noch so gut sein, wenn er Probleme macht, kann er nicht mitspielen», sagt er. Denn pöbelnde Spieler kann und will sich der FC Schlieren nicht leisten.

Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländern

Die Gleichung je mehr Ausländer, desto mehr Rassismus geht nicht auf. Denn Fremdenhass ist an Orten mit vielen Ausländern genau dasselbe Problem, wie an Orten mit geringem Anteil an Ausländern in der Bevölkerung. «Es ist erwiesen, dass kein direkter Link zwischen Rassismus und der Anzahl Ausländer an einem Ort besteht», so Brunschwig Graf. Die Herkunft sei nicht das zentrale Problem, sondern eher die Sensibilität der Leute.
Offensichtlich scheint es überdies auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländern zu geben. Denn nicht alle werden als störend empfunden. An Expats haben sich viele Schweizer bereits gewohnt, während manche gegenüber Asylsuchenden aus Eritrea oder Malaysia Vorbehalte hegen. So sind beispielsweise amerikanische Bräuche wie Black Friday, Halloween oder Valentinstag bereits feste Bestandteile in vielen Schweizer Agendas. Während sich dieselben Leute durch eine andere Religion, Hautfarbe oder Lebensweise gestört oder gar bedroht fühlen. Dies erlebte Rachid dos Santos Paulo im Berufsalltag ebenso wie in der Freizeit. Im Video erzählt er, welchen Vorurteilen er begegnet:

 

Ein Schweizerpass sichert dich ab, es ist einfach so.

Wenn man Rachid dos Santos Paulo auf dem Rasen sieht, kommt das Auge kaum nach. «Im Sprint ist Rachid nicht zu toppen», sagt sein Trainer. Der 20-Jährige spielt Fussball, seit er vier Jahre alt ist. Sein grosses Vorbild ist Cristiano Ronaldo. «Der hat sich nicht unterkriegen lassen und ist immer dran geblieben», sagt er. Einige Jahre kickte dos Santos Paulo in der Juniorenmannschaft des FC Zürich. Seit eineinhalb Jahren ist er nun beim FC Schlieren. «Hier gibt es immer etwas zu lachen», sagt der Angolaner. Das Team ist gut und hat einen super Zusammenhalt. Für mich ist der FC Schlieren wie eine Familie», sagt er.

Ganz anders sah es in anderen Bereichen seines Lebens aus: Nachdem er die obligatorischen Schuljahre hinter sich gebracht hatte, begann dos Santos Paulo eine Lehre als Montageelektriker. Doch nach einem halben Jahr brach er ab. «Ich konnte das einfach nicht mehr ertragen. Ständig sagten sie: Neger hier, Neger mach das.» Es war ein Schock für ihn. Während seiner Schulzeit sei er immer gut integriert gewesen und habe keine grösseren Probleme gehabt. Die Schikanen während der Lehre überstiegen seine Spannkraft. Nun hat er eine neue Lehrstelle gefunden und wird eine Lehre im Logistikbereich starten. Sein Bruder hat bereits den Schweizer Pass, nun will er ihn auch beantragen. «Den Test habe ich bereits gemacht und bestanden», sagt er. Doch der Ausbildungsort war nicht der einzige Ort, an dem dos Santos Paulo unter Beschuss geriet. Wenn er sich mit seinem blondierten Haarschopf und den verwaschenen Jeans in den Zug setzt, bekommt er Ablehnung in Wort und Blick zu spüren. «Manche Leute setzen sich einfach nicht neben mich und andere reden über mich, als ob ich gar nicht da wäre», sagt er. Dos Santos Paulo hat immer noch Mühe, rassistische Gesten und Kommentare wegzustecken, doch er ist sich sicher: «In der Schweiz geht es mir gut, auch was Rassismus anbetrifft. In anderen Ländern ist das noch viel schlimmer.»

 

Gemäss dem Eidgenössischen Departement des Innern bezeichnet Rassismus eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit in angeblich naturgegebene Gruppen einteilt und diese hierarchisiert. Damit werden Menschen nicht als Individuen, sondern als Mitglieder solcher pseudo-natürlicher Gruppen mit kollektiven, als unveränderbar betrachteten Eigenschaften beurteilt und behandelt. 

Rassistische Diskriminierung bezeichnet jede Handlung oder Praxis, die Menschen aufgrund physiognomischer Merkmale, ethnischer Herkunft, kultureller Merkmale und/oder religiöser Zugehörigkeit ungerechtfertigt benachteiligt, demütigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet. Im Unterschied zum Rassismus ist rassistische Diskriminierung nicht zwingend ideologisch begründet. Sie kann absichtlich, oft jedoch auch unabsichtlich erfolgen (z.B. strukturelle Diskriminierung).

 

Die Autorin hat in den letzten zwei Jahren die Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern absolviert. Dieser multimediale Text ist nun ihre Diplomarbeit.

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