Text: Lydia Lippuner, Foto: Claudio Thoma
«Es ist jetzt schon etwas speziell für mich, ich lebe eher still und zurückgezogen», sagt Sara Meier. Grund für die plötzliche Veränderung ist die Sendung «Geboren am» vom Schweizer Fernsehen SRF. In dieser wird die 81-jährige Birmensdorferin neben der ersten Bundesrätin, Elisabeth Kopp, sowie Sonja Weiss ihre Lebensgeschichte erzählen. Gemein ist den drei Frauen, dass sie auf den Tag gleich alt sind.
Das ganze habe mit einem Telefon angefangen: «Sie haben mich angerufen und fragten, ob ich die Sara Meier sei, die am 16. Dezember 1936 geboren wurde», sagt die Seniorin und zupft sich die ärmellose Bluse zurecht. Natürlich sei sie erst skeptisch gewesen und habe sich gefragt, woher «die Fernseh-Leute» das wussten. Doch nachdem sie einige Geschichten aus ihrem Leben erzählt habe, sei die Reporterin begeistert gewesen. Sie selbst habe gerne mitgemacht, sei jedoch froh gewesen, habe ihr Ehemann, Hans, sie unterstützt.
Angefangen hat ihr Leben sowie das von Elisabeth Kopp am 16. Dezember 1936. Damals hat die Welt von Sara Meier, dem jüngsten von vier Kindern, noch völlig anders ausgesehen. «Ich wuchs in Brunnen, im Kanton Schwyz, auf», sagt Meier. Ihr Vater war gelernter Lehrer und 37 Jahre Gemeindeschreiber im Ort. Wenn sie von ihrem Heimatort erzählt, kommt sie ins Schwärmen: Von ihrem Geburtshaus, ihren Geschwistern, der ganzen Gegend. «Ich würde immer noch dorthin zurückkehren», sagt sie.
Ihre Oberstufenjahre verbrachte sie in einem katholischen Internat. Dort empfahlen ihr die Nonnen im Alter von vierzehn Jahren, sie solle Novizin werden. «Das ganze Kloster betete dafür, das verunsicherte mich», sagt sie im Rückblick. Statt ins Kloster ging sie aber als Kindermädchen ins Tessin, in ein Dorf in dem nur italienisch gesprochen wurde.
An die Kindheit und Jugendzeit hat Meier praktisch nur positive Erinnerungen. Das hängt wohl auch mit ihrer optimistischen Lebenseinstellung zusammen. «Ich nahm nichts für selbstverständlich, das lehrte mich meine Mutter», sagt sie.

In ihren «Wanderjahren», wie sie die sechs Jahre nach der abgeschlossenen Handelsschule nennt, war sie in Genf und England zu Hause. Dort lernte sie nebst Sprachen auch die weite Welt kennen. «Ich wurde vom naiven Landmädchen zur selbstständigen Frau.» Während dieser Zeit habe sie nie heiraten wollen. Das war aus damaliger Sicht eine durchweg unübliche Haltung. Doch Meier war erfüllt von den neuen Erlebnissen und hatte kein Interesse daran, sich zu binden. Die Zeit im Gastrobereich, als sogenannte «Headwaitress» in England endete jedoch jäh mit einem Brief ihrer Mutter. Sie bat ihre Tochter, zurückzukommen. Über die ganze Zeit habe sie trotz der Distanz eine sehr intensive Beziehung zu ihrer Mutter gepflegt: Alle zwei Tage sei ein Brief aus der Schweiz zu ihr nach England geflattert. «Selbstverständlich ging ich zurück. Zum Glück, denn es war für mich der GAU, als sie kurz darauf starb», sagt sie.
Bald habe sie jedoch «ihren Meier» kennen gelernt. Dieser redete wunderschön französisch. Das fiel ihr sofort auf, als sie ihn an ihrem Arbeitsplatz im Büro kennen lernte. «Er war wie von meiner Mutter geschickt.» Mit seinem Auftauchen wankte ihr Entschluss zur Ehelosigkeit. «Er ist halt die Liebe meines Lebens», sagt sie und streicht ihm über den Arm. Auch er sieht sie liebevoll und bestätigend an. Obwohl er, als er sie zum ersten Mal sah, seinen Eltern sagte: «Mier hend e neui Sekretärin, aber sie isch katholisch», so ohne Punkt und Komma habe er das rausgelassen. Doch schliesslich hätten die konfessionellen Differenzen das junge Paar wenig beeindruckt und sie heirateten. «Ich war ja liberaler nach all meinen Auslandaufenthalten», sagt Meier. Deshalb sei es für sie auch nicht so schwer gewesen, im reformiert geprägten Birmensdorf Fuss zu fassen.
Die Jahre der Selbstständigkeit taten der damals jungen Frau gut. Denn es gab auch schwierige Zeiten in der 54-jährigen Ehe. Zum Beispiel nachdem die Kinder schon älter waren und ihr Mann arbeitslos wurde. In dieser Zeit begann Sara Meier wieder zu arbeiten. «Ich blühte ein zweites Mal auf», sagt sie. Obwohl sie in der Zwischenzeit nicht faul gewesen sei. Zwei Söhne aufzuziehen, Gesangsauftritte als Halb-Profi und Engagements im ganzen Dorf: Das hielt Meier über Jahre auf Trab. Von ihren Einsätzen erntet sie heute noch Früchte. Wöchentlich trifft sie sich mit Frauen aus der Gegend, spielt im Flötenquartett und geht auf Wanderungen mit den ehemaligen Pfadfindern ihres Mannes. «Aber auch zu meinen Söhnen und den Schwiegertöchtern habe ich ein sehr gutes Verhältnis», sagt Meier. Dank deren Ermutigung hätte sie auch immer wieder Mut gefasst, in der Sendung über ihr Leben mitzuwirken.
Das Einzige, was sie anders machen würde, wäre, noch mehr zu reisen. «Das musste ich ein wenig hinten anstellen», sagt sie. Auch wenn das Paar gemeinsame Reisen nach Boston, Moskau, London und an andere Orte unternahm, für Meier hätte es noch mehr sein dürfen. Für ihren Mann, der ein wenig bedächtiger ist, war es aber gerade genug. So seien sie immer wieder aufeinander zugegangen: Denn aufeinander zu hören, sei das Rezept ihrer langen Liebe.
Dieser Artikel erschien erstmals am 14. August in der Limmattaler Zeitung.