Pfarrer Willy Mayunda ist einer von 83 Pfarrern die einen frischen Wind in die zurückhaltende Schweizer Kirche bringen.
Text: Lydia Lippuner Bild: Sandra Sandra Ardizzone
«Normalerweise würde ich jetzt sagen, liebe Brüdern und Schwestern, aber da sind ja nur Frauen, deshalb einfach liebe Schwestern», sagt Pfarrer Willy Mayunda und lächelt in die Runde. Vor ihm eine Gruppe meist weisshaariger Frauen, die ihm zuhören. Die älteren Frauen, die meisten sind aus dem Alterszentrum Im Morgen in Weiningen, wussten schon im Vorhinein, wer den Gottesdienst halten wird. «Die Bewohner informieren sich, wer den Gottesdienst hält», sagt die Klavierspielerin des Gottesdienstes. Je nachdem sei der Saal dann besser oder schlechter gefüllt. Diejenigen, die den Pfarrer, etwa wegen seiner Sprache, nicht mögen, bleiben weg. Die meisten sind aber froh, kommt die Kirche zu ihnen. Denn vielen ist es nicht mehr möglich, eine Kirche zu besuchen. Selbst ob der Pfarrer katholisch oder reformiert ist, spielt manchen keine Rolle. «Ich bin reformiert. Aber wir haben ja alle denselben Herrgott», sagt eine Zuhörerin. Sie ist eine der wenigen, die die Liturgie nicht auswendig mitsagen kann.
«Diese Fröhlichkeit vermisse ich manchmal», sagt er.
Beim Singen sind alle Damen voll dabei. Zum Ausgang gibt es einen Walzer, dieser stösst auf Begeisterung: Die Damen schunkeln hin und her. Derweil zieht sich der Pfarrer das lange weisse Priestergewand ab. «Diese Fröhlichkeit vermisse ich manchmal», sagt er. Als er aus dem Kongo nach Europa kam, musste er sich «nicht nur ein wenig» an die neue Mentalität gewöhnen, wie er sagt. «Nach meiner ersten Messe in Deutschland waren die Kirche und der Kirchplatz leer. Alle waren weg, nachdem ich mich kurz in der Sakristei umgezogen hatte», sagt Mayunda. Das sei ein Schock gewesen. Er habe sich erst an die neue Situation gewöhnen müssen. In seinem Heimatland in der Demokratischen Republik Kongo sei es normal, dass man noch miteinander rede. Zurzeit sind 83 Priester aus dem Ausland im Kanton Zürich tätig. Arnold Landtwing, Mediensprecher des Generalvikariats für den Kanton Zürich und Glarus, sagt: «Die ausländischen Priester, die im Kanton Zürich als Seelsorger tätig sein wollen, müssen das Sprachniveau C1 erreichen, auch wenn staatlich nur B1 verlangt wird.»
Gleicher Lohn für alle
Nicht nur die Sprache ist anders, auch das System der Schweizer Kirche unterscheidet sich von allen anderen Ländern. In der Schweiz gibt es eine klare Trennung zwischen der Kirchgemeinde, die das Geld, also die Steuern der Kirchgänger, verwaltet, und den geistlichen Oberhäuptern, die für die Seelsorge zuständig sind. «In anderen Ländern werden Priester vom Bischoff angestellt, hier geschieht es durch die Gemeinde», sagt Mayunda. Doch das war nicht die einzige Umstellung, die der 54-Jährige in Angriff nahm. Die Lohnzahlung ist ebenfalls anders geregelt. «Im Kongo, in Italien und in Ländern, in denen es kein duales System gibt, wird die Kirche über Spenden finanziert», sagt er. Hier lebt die Kirche von der Kirchensteuer.
Dass die Kirche Leute aus dem Ausland anstellt, um Lohnkosten zu sparen, dementiert er: «Gleicher Lohn für Mann und Frau ist in der katholischen Kirche im Kanton Zürich selbstverständlich», sagt Landtwing auf Anfrage. Da sei es logisch, dass auch Priester ausländischer Nationalität gleich viel verdienen wie einheimische.
Mehr Katholiken denn je
Mayunda vermisst in der Schweiz die Fröhlichkeit und die Jungen: «Die Kirche ist ein Ort der Freude, die Jungen singen, Kinder kommen», sagt er. Doch die Gläubigen ticken auch theologisch ein wenig anders. «Hier ist es viel wichtiger, ob man liberal oder konservativ ist», sagt er. Wer schliesslich hierzulande die Mehrheit hat, kann Mayunda nicht sagen, doch es ist ihm auch nicht wichtig. «Im Kongo haben wir unsere Mentalität, wir schauen nicht rechts und links, wir respektieren die Grundstruktur der Kirche, aber wir setzen keine grossen Akzente», sagt er. Dies hänge vielleicht auch mit der Distanz zu Rom zusammen. Auf alle Fälle sei die Kirche trotzdem viel stärker in den Herzen der Leute verankert. Viele seien froh, wenn sie Kraft und Schutz vor etwas Unsichtbarem erhielten. «Ich habe den Eindruck, dass die Kirche nicht mehr so attraktiv ist für die Schweizer», sagt Mayunda. Viele Leute sagen, dass sie nach dem Weltkrieg auch noch mehr in die Kirche gingen als heute. Dies habe wohl auch damit zu tun, dass das Freizeitangebot heutzutage immens sei.
Nach der letzten Untersuchung im Jahr 2015 betrug der Anteil der Katholiken in der Schweiz noch 37,3 Prozent, das sind bereits fünf Prozentpunkte weniger als um die Jahrtausendwende. Doch in absoluten Zahlen haben die Kirchgänger zugenommen. Mit über 2,5 Millionen haben sie einen Spitzenwert erreicht – noch nie gab es so viele Katholiken in der Schweiz. Das liegt hauptsächlich an den Migranten, die aus den verschiedensten Ländern kommen und die Schweizer Landeskirche erneuern.

Trotzdem steigt die Anzahl der Kirchenaustritte jährlich an: In der letzten Erhebung stiegen über 4000 pro Jahr nur schon in Zürich aus. Doch noch stärker als die Kirchenbesucher ging die Anzahl ihrer Priester zurück. Im letzten Jahr wurden laut der Kirchenstatistik SPI vier Diözesanpriester im Bistum Chur geweiht. Diese Zahl hielt sich relativ konstant über die letzten 20 Jahre. Mit den Priesterweihen können die Todesfälle jedoch bei weitem nicht mehr kompensiert werden, wie die SPI besagt. So kamen zwischen 2015 und 2017 auf zehn Todesfälle nur 1,7 neue Priesterweihen. Der Priesterschwund betrifft aber nicht nur die Schweiz und Europa, viel stärker ist er in Südamerika zu spüren. Auch einige afrikanische Länder blieben nicht verschont: In Kenia sank die Zahl in sechs Jahren um 13 Prozent, während sie in Madagaskar um 65 zunahm. Der weltweite Rückgang liege besonders an der sinkenden Anzahl der Priester die nicht dem Bistum, sondern einem Orden unterstehen, wie die Vatikan-Statistik besagt.
Mayunda wurde ursprünglich Pfarrer, da ihn die Missionare aus dem Westen beeindruckt hatten. «Ich war fasziniert davon, dass sie ihr Heimatland verliessen und aus Liebe zu Gott in ein anderes Land kamen», sagt er. Ihn brachte jedoch ein anderer Grund nach Europa. Er habe nicht missionieren wollen, sondern sei von seinem Bischof gefragt worden, ob er nicht in Deutschland promovieren wolle. Da Kirchengeschichte sein Lieblingsfach ist, zögerte er nicht lange. 1999 zog er nach Deutschland und promovierte an der philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen zum Thema «Missionierung des Kongo». Im Jahr 2004 kam er in die Schweiz.
Ein leichter Anflug von Heimweh
Nach seinem Studium trug er die Frage wieder zurück an seinen Bischoff, wohin er nun gehen sollte. Dieser sagte ihm, solange er immer wieder nach Kinshasa komme, um an der theologischen Schule zu unterrichten, solle er in der Schweiz bleiben. «Immer wieder werden Pfarrer in Afrika angefragt, ob sie in anderen Ländern aushelfen können», sagt Mayunda. Auch wenn Mayunda neue Erfahrungen und Erlebnisse sehr schätzt, ist die Option, im Kongo wieder als Priester und Theologe tätig zu sein, nicht ausgeschlossen. Doch momentan hat sein Auftrag, hier zu sein, Vorrang.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 7. August 2018 in der Limmattaler Zeitung.