Im „Rage Room“ ist Draufhauen erwünscht

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FREIZEIT ⋅ Im ersten Rage Room der Schweiz können sich Stressgeplagte abreagieren und Spasssüchtige ihre Dosis holen. Experten stehen dem Angebot aus Lausanne kritisch gegenüber.

Der Vorschlaghammer liegt schwer in ihrer Hand. Ich schaue zu, wie die junge Frau ihn hochschwingt. Sekunden später saust er krachend auf eine Uhr nieder. Zeiger, Glas und Plastikteile fliegen in alle Richtungen. Wir stehen nicht in einer Abbruchhalle, sondern im ersten Rage Room – Wut-Raum – der Schweiz. «Eins, zwei, drei», ruft meine Mitspielerin und wirft mir eine Bierflasche zu. Ich schlage sie mit dem Baseballschläger gegen die weiss gestrichene Wand. Dort zerschellt sie in tausend Splitter. Ich schiele zu den anderen Waffen im Raum. Was soll ich mit dem Brecheisen? Den Sockel traktieren? «Klar, dafür ist das Eisen ja da», sagt Nicolas-Guillaume Katz, einer der Betreiber.

Bei den Amerikanern ­abgeschaut

Schreien, gegen die Wand treten, mit dem Baseballschläger um sich schlagen – fast alles ist seit dem 13. April im Rage Room in Lausanne erlaubt. Genau das macht Spass. Doch irgendwie fühlt es sich auch komisch steril an, auf Knopfdruck Aggressionen zu empfinden und diese dann am Geschirr auszulassen. Wem das zur Verfügung gestellte Material nicht reicht, der kann ja die Souvenirtasse der Schwiegermutter oder Fotos von verhassten Personen mitbringen.

Dass Katz einen Rage Room eröffnet, ist kein Zufall. Mit Räumen hat er Erfahrung. Mit seiner Geschäftspartnerin Polina Nekrasova baute er bereits zwei Escape Rooms und einen Virtual Reality Room auf. Im Escape Room müssen die Besucher Rätsel lösen, um sich aus einem Raum zu befreien. Bei den Virtual Reality Games tauchen die Spieler mittels der Virtual-Reality-Brille in die künstliche Welt des Computerspiels ein.

Das Konzept des Rage Rooms kannten die beiden zuvor nur aus US-Serien. Diese brachten sie auf die Idee, dies auch in der Schweiz umzusetzen: «Hier zeigen die Leute ihre Gefühle selten. Sie verstecken sie eher und sind still. Ein solcher Ort bietet die Gelegenheit, einmal alles rauszulassen», sagt Nekrasova. Statt dass man dabei Freundschaften oder Gegenstände riskiert, kann man Wut, Frust oder ganz einfach die Lust am Kaputtschlagen an Bierflaschen, Gläsern, Tellern und gegen einen Aufpreis auch an elektronischen Geräten auslassen.

Um die Spieler und Betreiber vor den Nebenwirkungen allzu heftiger Emotionsausbrüche zu schützen, gibt es Regeln. Als Erstes müssen alle eine Vereinbarung unterschreiben. Mit dieser bestätigen die Teilnehmenden, dass sie die Risiken des Spiels auf sich nehmen. Danach erklären die Betreiber die Sicherheitsvorschriften: Man darf beispielsweise nicht zur gleichen Zeit wie ein anderer Mitspieler eine Waffe in der Hand halten. Es sind maximal drei Spieler pro Runde erlaubt. Und mit den Wurfgeschossen soll man nur auf die weisse Wand zielen. Anschliessend wird den Teilnehmenden ein weisser, reissfester Anzug verpasst.

Zusammen mit den schwarzen Gummihandschuhen und dem Helm mit Panzerglas sieht man aus, als würde man als Nächstes eine Rakete zum Mond besteigen. Wer noch nicht genügend negative Gefühle spürt, kann das Handy an die Musikboxen anschliessen. Der wummernde Bass, die rote Wandfarbe und die Zielscheibe vor der Nase schaffen die perfekte Aggro-Atmosphäre: Jetzt kann die Emotionsbombe platzen. An der Rückwand warten Brecheisen, Vorschlaghämmer und Baseballschläger auf ihren Einsatz. Trotz der schweren Geschütze haben die Betreiber keine Angst vor den randalierenden Besuchern.

Kein Zutritt für Betrunkene und Minderjährige

In bestimmten Fällen sei es möglich, Stressabbauwillige abzuweisen. Etwa solche, die betrunken seien oder bei denen man ein schlechtes Gefühl habe. Ausgeschlossen sind Minderjährige. «Die Leute kommen nicht zum Prügeln», sagt Nekrasova. Wer eine Schlägerei sucht, muss dafür nicht extra nach Lausanne fahren. «Bei uns sollen die Leute Spass haben und den Emotionen freien Lauf lassen», sagt Katz.

Nach einer Viertelstunde Randalieren im Rage Room steht man wieder im Freien. Zurück bleiben ein Haufen Scherben und zersplitterte elektronische Geräte. Diese müssen die Stressbefreiten nicht selbst beseitigen. Sie bleiben da, als Kulisse und Inspiration für die nächste Runde. Der Verursacher verlässt, bestenfalls entspannt, ansonsten zumindest um rund 40 Franken leichter das Terrain.

 Dieser Artikel erschien am 19. April beim St. Galler Tagblatt.

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