«Die Kinder sind versichert, für mich reicht es nicht»

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 Frau Hulan (38) kam vor neun Monaten mit ihren zwei Kindern in die Schweiz. Sie erzählt, wie es ist, als alleinerziehende Mutter und Sans-Papier in Zürich zu leben.

Frau Hulan* als Sie vor neun Monaten mit ihren Kindern in die Schweiz kamen, was erwarteten Sie damals von ihrem neuen Wohnort?
Meine Freunde erzählten mir, wie schön und gut es hier in der Schweiz sei.Ursprünglich komme ich aus der Mongolei. Ich hatte kein bestimmtes Bild im Kopf, hoffte aber, dass die Schilderungen der Wahrheit entsprechen.

Haben sich die Aussagen Ihrer Freunde bestätigt?
Ja, es gefällt mir wirklich sehr gut hier. Bevor ich in die Schweiz kam, lebte ich noch zwei Jahre In Polen. Da war es sehr schwierig, weil ich sehr wenig verdienteund nur mit unzähligen Überstunden oder Nachtschichten meine Kinder durchgebracht hätte. So wiederum wäre es nicht möglich gewesen, meine Kinder zu betreuen. Hier in der Schweiz können meine Kinder zur Schule gehen und ich arbeite, wann immer ich kann.

Wo finden Sie Arbeit ?
Das ist ein schwieriges Unterfangen. Jedes Mal, wenn ich mich bei einer offenen Stelle melde, fragen sie als erstes nach der Arbeitsbewilligung. Wenn ich dann sage, dass ich keine Papiere habe, geben manche mir einmalig aus Mitleid für ein paar wenige Stunden Arbeit. Andere sagen, das sei nicht gut, ja sogar gefährlich. Bisher fand ich die Nebenjobs an den Inserat-Wänden im Coop oder Migros und auch im Internet. An manchen Tagen finde ich gar nichts, das ist normal.

Mir ist es egal, wie hart die Arbeit ist.

Wie erleben Sie den Alltag als alleinerziehende Mutter ohne Papiere in der Schweiz?
Ich reiste mit gültigen Papieren aus Polen in die Schweiz. Diese sind unterdessen abgelaufen. Um sie zu erneuern, müsste ich zurück nach Polen und dort auch arbeiten und leben. Doch ich will hierbleiben. Also suche ich jeden Tag eine neue Arbeitsstelle, um mich und die Kinder durchzubringen. Wenn ich Arbeit gefunden habe, freue ich mich. Mir ist es egal, wie hart die Arbeit ist. Ich putze, mache den Garten oder reinige die Fenster.

Wie halten Sie dieses Arbeitspensum und diesen Druck alleine aus?
Ich bin oft müde, das ist so, aber dann kommen die Kinder aus der Schule und erzählen, was sie erlebt haben. Das macht mich wieder munter. Die Kinder geben mir neue Kraft.

Wieviel verdienen Sie mit diesen Jobs?
Ich verdiene 20 Franken pro Stunde.

Sind Sie versichert?
Ich selber habe keine Krankenversicherung. Zum Glück bin ich im Moment gesund und das muss so bleiben. Die Kinder habe ich versichert, aber für mich reicht das Geld nicht mehr. MeinenStundenlohn brauche ich für die Miete unseres Zimmers, das Essen und die Kleider. Momentan leben wir zu dritt in einem Zimmer, das 600 Franken kostet.

Wie fanden Sie dieses Zimmer?
Andere Sans-Papiers erzählten mir davon. Ich bin meiner Vermieterin sehr dankbar, dass sie uns aufgenommen hat.

Ich glaube, dass es den Kindern und mir hier besser geht.

Haben Sie nebst den Bekanntschaften zu anderen Sans-Papiers auch Schweizer Freunde?
Nein. Ich rede ich nicht sehr gut Deutsch, da das Geld nicht für einen Deutschkurs reichte. Zudem habe ich keine Arbeitskollegen, da ich immer wieder irgendwo anders arbeite.

Wie stehen sie zu Ihrer Familie?
Ich liebe meine Familie und meine Heimat.

Weshalb haben Sie es vorgezogen, trotzdem hier zu leben und weit weg von ihrer Familie zu sein?
Ich glaube, dass es den Kindern und mir hier besser geht. Hier haben sie eine Zukunft, können zur Schule gehen und später einen guten Beruf erlernen – das ist mein grösster Wunsch.

Wie wären die Verhältnisse für Sie und Ihre Kinder in der Mongolei?
Die Kinder könnten auch dort zur Schule gehen. Aber in der Mongolei sitzen bis zu 45 Kinder in einer Klasse und es gibt kaum Arbeit. Ich liebe meine Heimat, aber als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern wäre es sehr schwierig für mich, den Alltag zu bewältigen. Ich will meinen Verwandten nicht auf der Tasche liegen. Die Löhne sind dort ist sehr niedrig. Ich unterrichtete als Lehrerin, mein Verdienst lag zwischen 500 und 600 Euro.

Sind dafür die Mieten und die Unterhaltskosten günstiger?
… Nein, die Miete macht auch in der Mongolei etwa die Hälfte des Lohnes aus und das Essen und die Kleider sind auch teuer. Im Normalfall würden der Mann und die Frau arbeiten, um die Lebenskosten zu bestreiten. Das ist in meinem Fall nicht möglich.

Trägt der Vater Ihrer Kinder nichts zu deren Unterhalt bei?
Nein, ich bin geschieden, mein Ex-Mann wohnt in einem anderen Land, er schickt mir kein Geld und sieht auch die Kinder nicht.

Was ist ihre grösste Sorge?
Ich habe immer wieder Angst, dass wir von der Polizei kontrolliert werden. Eigentlich denke ich, ich muss keine Angst haben, wenn ich auf die Strasse gehe, da ich ja nichts Falsches tue. Doch bei jedem Gespräch habe ich wieder Angst und ich frage mich, was ich sagen soll. Ich will nicht schon wieder in ein neues Land ziehen. Meine Kinder gingen zwei Jahre in der Mongolei zur Schule und zwei Jahre in Polen und nun in der Schweiz, das sind viele Wechsel. Letzthin sagte mein Sohn: «Mama, bitte ziehen wir nicht schon wieder um.»

*Name der Redaktion bekannt.

Frau Hulan lebt mit ihrer zehnjährigen Tochter und ihrem achtjährigen Sohn seit neun Monaten in Zürich. Sie gehört zu den schätzungsweise 28’000 Sans-Papiers, die sich in der Stadt niedergelassen haben. Sans-Papiers sind Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Sie leben, arbeiten und lernen unter uns. Täglich kämpfen sie mit der Angst, entdeckt und ausgeschafft zu werden. Frau Hulan hat mit uns in der Anlaufstelle für Sans-Papiers (SPAZ) in Zürich geredet.

Dieser Beitrag erschien am 26. Februar beim Stadtmagazin Tsüri.

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