Das Leben nachdem mein Mann starb – Erfahrungen einer Witwe

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Der Bericht einer Frau, deren Mann gegen Krebs kämpfte und sie dann mit zwei Kindern zurückliess.

«Ja, ich will.» Vor zehn Jahren hat Vera B. geheiratet. Es war eine eher spontane Angelegenheit. Das erste Kind war da. Als sie auf dem Amt waren, um die Papiere zu veranlassen, sollte ihr Partner einen Vaterschaftsvertrag für das Baby abschliessen. Das war ihm dann irgendwie zu blöd. Da fand er heiraten doch weniger unpersönlich. So entschieden sie, zu heiraten, wie Vera es sich schon lange gewünscht hatte. «Das war mein Glück», sagt sie, «sonst wäre ich heute nicht so gut abgesichert.» Denn ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben.

«Trauer ist der stärkste Stress, den ein Mensch überhaupt erfahren kann», sagt der Psychoanalytiker Collin Murray Parkes. Egal ob es um finanzielle Absicherung, das soziale System oder die Kindererziehung geht – alle diese zentralen Themen nehmen neue Dimensionen an, wenn der*die Partner*in nie mehr zur Tür hereinkommt. Ist der*die Partner*in todkrank, können sich manche Menschen auf diese Veränderungen so gut es geht vorbereiten. Sie erleben einen Prozess, in dem sie Abschied nehmen können. Anderen wird der*die Partner*in mit einem Schlag aus dem Leben gerissen. In diesem Erfahrungsbericht erzählt Vera wie es ist, über Wochen und Monate, ja bis zum letzten Atemzug, zu hoffen, dass der Partner überlebt. Und ihn dann sterben zu sehen. Die 38-jährige Musiklehrerin aus Zürich erzählt, mit welchen Vorurteilen und Schwierigkeiten sie als Witwe auch heute noch zu kämpfen hat.

Drei Wochen vor seinem Tod ging er noch alleine in die Ferien

«Vor vier Jahren wurde mein Mann krebskrank. Ich musste ihn nie pflegen, selbst drei Wochen vor seinem Tod ging er noch selbstständig in die Ferien. Doch man pflegt die Beziehung in solchen Momenten ganz anders. Schon zuvor haben wir vieles zusammen diskutiert, doch in dieser Zeit hat sich alles intensiviert. Unsere Gespräche drehten sich um die Kinder, um gemeinsame Träume. Eigentlich planten wir ein Jahr nach Irland zu gehen, bevor unsere beiden Kinder in den Kindergarten kommen. Wir hatten Familienträume, die wir gemeinsam kultivierten. Wir redeten viel über Selbstheilung, aber nie über seinen möglichen Tod. Mein Mann blendete den Tod komplett aus. Schon während seiner Krankheit schrieb er ein Buch über seine Heilung. Als er nicht mehr schreiben konnte, nahm er die Kapitel auf. Ich habe die Audiodateien immer noch auf meinem Computer. Mit zunehmender Krankheit, tönte ich das Thema Sterben einmal an. Er wurde wütend. «Ich überlebe das. Und ich kann nur Leute um mich herum gebrauchen, die mich zu 100 Prozent unterstützen. Wenn du das nicht kannst, muss ich weg hier», sagte er. Wie konnte ich diese Forderung erfüllen? Es fiel mir ehrlich schwer, nicht mit ihm darüber zu reden. Nach dieser Unterredung ging er für drei Wochen in die Ferien. Als er zurückkam, hatte ich mich entschieden. Ich hatte mich entschieden, mit ihm zu glauben, ihn voll zu unterstützen. Zumindest gegen aussen liess ich den Gedanken seines Todes nicht zu. In mir entwickelte sich auch tatsächlich ein Gefühl, dass er nicht sterben werde. Unsere Spiritualität rückte noch viel mehr in den Vordergrund. Mein Mann hatte Träume und Visionen, die ihm bestätigten, dass er überleben werde. In dieser Gewissheit lebte er.
Dann bekam er eine Lungenentzündung und er musste ins Spital. Es sah schlecht aus. Doch trotzdem blendete ich den Tod immer noch komplett aus. Bis die Ärztin mich ins Spital zitierte und sagte: «Wir müssen reden.»

Man versteht den Tod erst, wenn man ihn sieht

Im Spital angekommen traf mich der Schock. Mein Mann hatte beschlossen, zu sterben. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser plötzlichen Kehrtwende umgehen sollte. Ich konnte nur sagen: «Das kannst du jetzt doch nicht machen!» Aber schlussendlich blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Fakt ebenso anzunehmen, wie zuvor die Hoffnung, dass er nicht sterben werde. Ich verbrachte die wenigen restlichen Tage mit ihm im Spital. Ich begleitete ihn auch, als er starb. Dann kam der Abschied. Ich wollte, dass meine Kinder, zumindest die 4-Jährige, den Papi nochmals sieht. «Siehst du, er ist jetzt nur noch wie eine Puppe, er spürt nichts mehr, ist ganz kalt», erklärte ich ihr. Ich glaube Kinder sind in dem ähnlich wie Erwachsene. Wenn sie das nicht selbst gesehen haben, verlieren sie den Faden. Deshalb war es mir sehr wichtig, dass sie richtig Abschied nehmen konnten. Ich habe den Kindern auch immer gesagt dass es möglich sei, dass der Papi an der Lungenentzündung sterben könnte.

In der Zeit nach dem Tod war ich lange ganz anders als sonst. Der Zustand in dem ich lebte, ist schwer zu beschreiben. Ich war viel spiritueller als in anderen Lebensphasen, da ich mich auch immer noch mit meinem Mann verbunden fühlte. Gleichzeitig waren da die vielen Leute. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Hatten Mitleid. Brachen in Tränen aus. Ich fragte mich dann, ob ich sie jetzt trösten soll. Irgendwie verstand ich, dass sie nicht wussten, was sie sagen sollten. Mir wurde bewusst: Der Tod wird von den meisten Menschen ausgeblendet. Es gab auch einige, die nicht sprachlos blieben. Sie gaben Tipps, nach denen ich nie gefragt hatte. Etwa, wie ich die Kinderbetreuung am besten einrichten soll. Ein anderer beliebter Tipp war, mir zu erklären, wie ich wieder einen Mann bekomme. Sie zogen die Schlussfolgerung, wenn ich wieder einen Mann hätte, dann wäre ich doch bestimmt wieder glücklich. Tatsächlich richtete ich mir ein Profil bei Parship ein, doch ich war nur kurze Zeit aktiv. Ich habe einfach keine Zeit dafür. Es entspricht auch nicht meinem Stil.

Ich bin ein Sonderfall, der keiner sein will

Neben meinem 50%- Job an der Schule füllen die Kinder meinen Terminplan aus. Ich bin jetzt ganz alleine für sie verantwortlich. Das ist anders. In schönen Momenten, wenn meine Tochter im Zirkus auftritt, aber auch bei den alltäglichen Reibereien, ob sie jetzt das Trotti mitnehmen darf oder nicht. In diesen Momenten vermisse ich besonders jemanden, dem die Kinder genau so lieb sind wie mir. Jemand, der unser Leben teilt. Jemand, bei dem ich anlehnen kann. Bei dem ich nicht mehr ständig geben muss, sondern einfach sein kann. Im Verein Aurora finde ich Frauen und Männer, die manches ähnlich erleben wie ich. Dort treffe ich andere Elternteile von Minderjährigen, deren Partner starben. Es tut mir gut, mich in dieser Schicksalsgemeinschaft mit anderen zu unterhalten und so Unterstützung und Beratung zu erhalten. Trotz allem möchte ich kein Sonderfall sein, obwohl ich weiss, dass ich einer bin. Denn ich bin nicht wie die anderen Alleinerziehenden. Ich bin weder geschieden noch getrennt, sondern verwitwet.»

Dieser Artikel erschien am 1. Februar 2018 auf Tsüri.ch

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